In belastenden Zeiten, in denen Informationen besonders wertvoll sind, hat das Spital Männedorf im Februar 2023 ein wegweisendes Konzept eingeführt, das nicht nur die Intensivpflege revolutioniert, sondern auch eine Brücke zwischen Patienten, ihren Angehörigen und dem medizinischen Team schlägt. Das "Aktive Angehörigentelefonat" ermöglicht es den Angehörigen, trotz räumlicher Distanz in engem Kontakt mit dem Zustand ihrer Liebsten auf der Intensivstation zu bleiben.
David Schoos blickt auf das erste halbe Jahr zurück und erklärt uns im folgenden Interview mehr zu den Beweggründen hinter diesem innovativen Ansatz sowie die Vorteile und die Herausforderungen, die er mit sich bringt.
Was ist unter «Aktives Angehörigentelefonat» zu verstehen?
Das Konzept verfolgt die Absicht die Kommunikation mit Angehörigen von Intensivpatientinnen und -patienten proaktiv durch die Pflegefachpersonen der Intensivstation zu steuern. Zuerst wird geklärt, wer die Angehörigenseite vertritt. Diese Person gilt von nun an für das Pflegefachpersonal der Intensivstation als feste Bezugsperson für das tägliche Telefonat. Dazu werden mit ihr einige Vereinbarungen (z.B. Zeitpunkt für das Telefonat) getroffen. Diese Person hat dann die Aufgabe die erhaltenen Informationen an weitere Angehörige weiter zu leiten.
Welche Vorteile haben das geplante Gespräch für den Patienten und für die Mitarbeitenden?
Studien zeigen, dass pro Patienten und Tag durchschnittlich mehr als vier Anrufe auf der Intensivstation eingehen. Durch diese nachvollziehbaren aber unplanbaren Anrufe wird das IPS-Team immer wieder im Behandlungsprozess gestört. Daher ist eine grundsätzliche Reduktion der Anruferzahlen ein klares Ziel. Neben den quantitativen Aspekten gibt es auch verschiedene qualitative Aspekte, die durch das «Aktive Angehörigentelefonat» verbessert werden. Da wir die Telefonate vorbereiten und strukturieren, ist die Informationsqualität viel höher, was sich neben der höheren Verbindlichkeit positiv auf das Vertrauen auswirkt. Darüber hinaus erhöht sich auch die Rechtssicherheit, denn wir wissen mit wem wir es am anderen Ende der Leitung zu tun haben und wem wir die schützenswerten Informationen weitergeben.
Welche Erfahrungen haben wir diesbezüglich gemacht?
Jede Neuerung braucht seine Anlaufzeit. Wir mussten uns zuerst an unsere neue aktive Rolle gewöhnen. Dennoch sind, und das ist sehr erfreulich, alle vorher erwähnten Folgen schon kurze Zeit nach der Einführung spürbar geworden. Auch die Feedbacks der Angehörigen sind positiv, was den Erfolg des aktiven Ansatzes auf jeden Fall unterstreicht. Die Implementierung einer solchen Intervention ist jedoch nur durch den beeindruckenden und gewissenhaften Einsatz aller Teammitglieder der Intensivstation möglich.
Sind bisher auch Schwierigkeiten aufgetreten?
Es kommt äusserst selten zu Problemen. Schwierige Familienkonstellationen bergen ein gewisses Problempotenzial in sich. Wenn beispielsweise eine Bezugsperson mit einer anderen Person der Familie verstritten ist und die erhaltenen Informationen nicht weitergibt, reisst die Kommunikationskette. In einem solchen Fall können wir aber immer noch vom Standard-Protokoll abweichen. Unter dem Strich überwiegen die Vorteile. Wir können Informationsbedürfnissen mit dem aktiven Modell viel besser gerecht werden und diese Erfahrungen machen auch andere Kliniken wie das USZ.
Welche Informationen erhalten Angehörige?
Angehörige erhalten ausschliesslich pflegerische Informationen. Das heisst wir geben ein Update über den Zustand über die letzte Nacht, den neurologischen Zustand, die Atmung und Informationen zum Kreislauf. Wir klären auch über das weitere Prozedere auf – welche Untersuchungen anstehen und wann Besuchsmöglichkeiten bestehen. Ärztliche Informationen wie Prognosen, Laborwerte und Diagnosen, die nicht festgelegt wurden, werden nicht mitgeteilt.